Ruine einer Tankstelle

Das Jahrhundert der fossilen Mobilität geht zu Ende

«Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.» Dieses Zitat wird dem deutschen Kaiser Wilhelm II. zugeschrieben. Wie bei so vielem lag der letzte deutsche Kaiser auch hier mit seiner Einschätzung völlig daneben.

 

Vom Pferd zur Massenmotorisierung

Henry Ford hatte die kostengünstige, standardisierte Produktionsmethode von Autos ab 1908 in den USA entwickelt. In der Hochzeit der legendären Modell-T-Produktion rollten bei Ford 9000 Exemplare pro Tag von den Bändern. Von 1908 bis 1927 baute Ford 15 Millionen der sogenannten Tin Lizzie. Das T-Modell war ein simples Auto, ohne den Wohnzimmerkomfort von heute, das es nur in der Farbe Schwarz gab. Dadurch konnte der Preis so niedrig angesetzt werden, dass Millionen Amerikaner sich dieses Auto leisten konnten.

Die Massenmotorisierung begann in den USA früh, rollte in Mittel- und Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg an und erst in den 70ern in Japan und Südkorea. In Deutschland ist dieses Phänomen untrennbar mit dem VW Käfer verbunden. Aber auch Kleinstfahrzeuge wie das Goggomobil oder die dreirädrige BMW Isetta machten Autos für breitere Schichten erschwinglich. 1957 überschritt die Zahl der Pkw erstmals die der Motorräder, 1960 fuhren vier Millionen Pkw auf deutschen Straßen. In den Ländern des früheren Ostblocks lief die Entwicklung verzögert und mit weit weniger Stückzahlen. Auf den Trabi musste man in der DDR schon mal ein paar Jahre warten. 2018 besaßen die Deutschen in Ost und West 43 Millionen Pkw in privaten Haushalten. 555 Pkw kamen 2018 auf 1000 Einwohner, ein neuer Rekordwert. Drei Generationen sind inzwischen automobil sozialisiert.

 


Modernismus und die Charta von Athen

Die Orientierung am Autoverkehr und an der Stadtplanungsidee des Modernismus führte gerade beim Wiederaufbau vieler deutscher Städte in den 50er Jahren zu einer funktionalen Aufteilung der Städte in Arbeiten, Wohnen, Freizeit nach der Charta von Athen.

Die Verbindung zwischen den Funktionen war das Auto. Straßenbahnlinien wurden nicht wiederaufgebaut, Schienen wurden entfernt und Fahrradfahren und zu Fuß gehen galten bei vielen als rückständig und gestrig.

Die Stadt wurde zur Maschine, wie es Fritz Lang schon 1927 in seinem ikonografischen Film «Metropolis» antizipiert hatte. Die Idee einer Stadt für Menschen, wie sie heute von Jan Gehl aus Kopenhagen und anderen modernen Stadt- und Verkehrsplanern wiederbelebt wird, war auf Jahrzehnte als altmodisch und unmodern 
verpönt.

 

«57 Prozent aller Wege mit dem Auto»

Die Anzahl der Wege, die Menschen pro Tag zurücklegen, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert. Es sind 3 bis 3,5 pro Tag. Die Wegstrecke hat sich allerdings mit zunehmender Motorisierung verlängert. Die bundesweite Studie «Mobilität in Deutschland» im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums ermittelte von 2008 auf 2017 einen Rückgang der Wegezahl von 3,3 auf 3,1, dabei blieb aber die zurückgelegte Strecke von 39 Kilometern pro Tag relativ stabil. Großstädter legen 37 Kilometer zurück, Landbewohner und Kleinstädter 44 Kilometer. Das dominante Verkehrsmittel ist auch 2017 mit 57 Prozent aller Wege und 75 Prozent aller Personen­kilometer das Auto. Großstädter nutzen in der Mehrheit öffentliche Verkehrsmittel, das Fahrrad und die Füße, auf dem Land dominiert klar das Auto.

 

 

Verkehrswende für saubere Luft

Diese Dominanz des motorisierten Individualverkehrs (MIV) verursacht eine ganze Reihe von Umweltproblemen. Auch das von der Bundesregierung zuletzt in Auftrag gegebene Gutachten der Nationalakademie Leopoldina, an dem 20 Professor/innen aus 12 Disziplinen beteiligt waren, bestätigt die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Verkehrswende, aus Gesundheits- wie aus Klima­schutzgründen. Von «kurzfristigen und kleinräumigen Maßnahmen» wie Fahrverboten von Dieselfahrzeugen erwarten die Wissenschaftler/innen wenig Effekte. Das sei allerdings keine Entwarnung, im Gegenteil fordert die Studie von der Bundesregierung eine umfassende Verkehrswende hin zu einer nachhaltigen Mobilität, die Stickoxid, aber vor allem auch Feinstaub und Klimagase im Verkehr dauerhaft und ambitioniert reduziert. Denn, so die Wissenschaftler, strenge Grenzwerte bei den Luftschadstoffen sind notwendig. Schließlich steht für die WHO fest, dass es bei Feinstaub und Stickoxid keine Untergrenze gibt, unterhalb derer diese Stoffe gesundheitlich unbedenklich sind.

Klimaschädliche Subventionen

Und die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehrssektor sind in den vergangenen drei Jahren wieder kontinuierlich angestiegen. Sie lagen laut Umweltbundesamt im Jahr 2017 bei über 170 Millionen Tonnen. Das sind rund 4 Prozent mehr als im Kyoto-Referenzjahr 1990. Der Verkehr ist damit der einzige Sektor, der seine Emissionen nicht gesenkt hat.

Das liegt auch daran, dass die Anreize im Verkehr in Deutschland bisher falsch gesetzt sind. Die Entfernungspauschale, das Dienstwagenprivileg und die reduzierte Dieselbesteuerung wirken alle darauf hin, dass Mobilitätsentscheidungen für das Auto gefördert werden. Das Resultat sind ellenlange Staumeldungen jeden Morgen und Abend in den Rushhours.

 

Die Befreiung des Flugverkehrs von der Kerosinsteuer, die Mehrwertsteuerbefreiung von internationalen Flügen und die volle Mehrwertsteuerlast für Bahnfahrkarten setzen auch im Freizeitverkehr die völlig falschen Anreize. Das Flugzeug verzeichnet bei Urlaubsreisen das stärkste Wachstum: Waren es im Jahr 2000 noch 30 Prozent, so nutzten 2018 schon 41 Prozent den Luftweg. Das Auto als zweitschädlichstes Verkehrsmittel bleibt das beliebteste Urlaubsvehikel mit immer noch 45 Prozent. Die klimafreund­lichen Alternativen Bus und Bahn verharren hingegen bei schlappen 7 bzw. 6 Prozent.


Michael Adler ist Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur tippingpoints.

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